Yoshin Franz Ritter
Die Situation des spirituellen Lebens in unserer Gesellschaft heute
Dem Menschen wurde vom Leben und seiner Schöpfung ein großartiges Geschenk gemacht: Der mobile Geist (Michael Pollan), der sich auch ganz andere Lebensgestalten vorstellen kann als die jeweils gelebte. Dieses Geschenk ist es, das wir Menschen als unsere Freiheit empfinden.
Seit Jahrtausenden ist den Menschen bewusst, dass es zwei grundlegende Wege der Lebensführung gibt: Die Vita Activa und die Vita Contemplativa.
Im alten Griechenland war die Vita Contemplativa den Männern [2], die als Familienvorstände befreit von Haushalts- oder Gemeinschaftspflichten ihre Zeit dem Müßiggang und den Gesprächen zum Thema Polis/Politik widmen konnten, vorbehalten. Nur in Kriegszeiten oder in bestimmten Kulturen (Spartakus) waren die Männer als „Aktivisten“ gefragt, aber hauptsächlich, um Unsterblichkeit als Helden zu erlangen, über die „kontempliert“ werden konnte.
Im Mittelalter verschwand die Vita Contemplativa in Klöstern, religiösen Gemeinschaften (zB. Beginen) oder bei Einsiedlern. Dort hielt sie sich lange Zeit verdeckt und brachte in der Mystik immer wieder herausragende MeisterInnen hervor. Allerdings waren diese oft von der Inquisition bedroht oder gar ihr Opfer, weil sie mit ihren Aussagen die offizielle Theologie in Frage stellten. Mit dem Zurückdrängen der Macht der Kirchen in den letzten 300 Jahren fand die Vita Contemplativa kaum mehr einen Platz in der Gesellschaft [3].
Die Vita Activa war ursprünglich der Weg der Frauen (Versorgung des Nachwuchses), der Sklaven und der gefangenen „Barbaren“. Das ist sie heute in den Köpfen vieler Menschen immer noch. Darüber hinaus aber rückte in der Neuzeit auch eine eingeschränkte Vita Activa, der Handel, das Erobern, das Tun, das wissenschaftliche Denken und Erkennen in den Vordergrund und wurde in dieser Form zum Ideal der führenden Männer.
Die Thesen der Ausbildung LSB Spirit lauten,
– dass mit dem Verschwinden der Vita Conteplativa ein wichtiger Teil des Innenlebens des Menschen verloren ging
– und dadurch in vielen Menschen Selbstentfremdung (innere Leere) entstand , die versucht ird, mit anderen Mitteln zu füllen
[2] Ich verwende bewusst das Wort Männer, um das kulturelle Bild dieser (und unserer heutigen) Zeit sichtbar zu
machen.
[3] Ich folge hier den Gedanken von Hannah Arendt in ihrem Buch „Vita Activa“ über die Verwandlung der alten
Polis über Gemeinschaft zur alles beherrschenden Gesellschaft, in der wir heute leben.

Diese Mittel werden heute durch ihre Fremdheit oft als problematisch empfunden oder stellen sogar manchmal durch ihre Nichtanpassung an unsere Verständniskultur eine Gefahr in ihrer Anwendung dar.
Die Selbstentfremdung wurde schon von Marx und anderen erkannt und als Problem beschrieben. Zugleich wurde die persönliche religiöse Praxis mehr und mehr zur Privatsache und hat in der Öffentlichkeit kaum Bedeutung. Was sich aber dahinter umso deutlicher zeigt, ist das Fehlen von integrierender Spiritualität, der gemeinschaftlichen Ausrichtung auf ein metaphysisches Dasein von Menschen, die dieses Fehlen in sich wahrnehmen, auf der Suche sind, aber in den bisher gelebten Formen keine Antworten mehr finden. Deshalb greifen diese Menschen heute zu exotischen oder esoterischen Praktiken [5], um ihre spirituelle Lücke zu schließen. „Spirituelle Magersucht“ nennt dies die evangelische Theologin Dorothee Sölle. Daraus entstehen neue Unsicherheiten, Problematiken oder Lebensfragen und deren Begleitung bei der Lösung Aufgabe der AbsolventInnen dieser Ausbildung sein wird.
In Abgrenzung zu anderen LSB-Ausbildungen, die sich vorwiegend mit Selbstoptimierung oder Krisenbewältigung befassen, sieht die Ausbildung LSB Spirit ihren Schwerpunkt in der inneren Verfasstheit des Menschen, in seinem Suchen nach Sinn im Leben und seiner spirituell-ökologischen Verbindung zu Welt und Kosmos. Denn Spiritualität ist das Kind (oder die Quelle, je nach Sichtweise) des kontemplativen Lebens, einer beruhigten Seinsform, in der es nicht mehr um Erfolg in der äußeren Welt oder um Selbstoptimierung geht, sondern um ein Leben in Einklang von Innen und Außen.
In der Ausbildung LSB Spirit finden daher die großen Fragen des Lebens Platz
- wer wir hinter den Rollen, Funktionen, Introjekten und Programmen unserer Existenz sind
- wie wir ein erfülltes (statt ein nur ausgefülltes) Dasein gestalten können
- welche Aufgaben das Leben für uns bereithält, wie Viktor Frankl und Eckhart Tolle fragen
Das sind die Themen der Fokussierung auf den Geist, der von uns ein Leben in Selbstreflexion und Weiterentwicklung fordert, um nicht zu verkümmern. Die Ausbildung LSB Spirit wird Dir also nicht nur lernen, wie Du ein tiefgehendes Beratungsgespräch führst, sondern auch, wie sehr es Dir selbst gelungen ist, ein erfüllendes Leben zu führen und wie Du es weiterhin in einem faszinierenden Prozess der Selbstgestaltung verwirklichen kannst. Deine bisherigen Erfahrungen kristallisieren sich im Lernprozess und durch den Kontakt mit den anderen LernkollegInnen heraus. Und durch die spirituellen Leben, Formen und Prozesse, die wir in der Ausbildung LSB Spirit erkunden, wirst Du neue Impulse und Einsichten über die Möglichkeiten Deines eigenen Daseins entwickeln.
In allem es geht aber nicht um den einen Großen Prozess, der allen Menschen alle Probleme löst. Es geht darum, zu begreifen, dass jeder Mensch eine einzigartige Möglichkeit ist, eine Möglichkeit, die Ausdrucksformen des Menschseins zu verstehen, zu vergrößern und friedvoll zu gestalten.
[4] Siehe mein Buch „Der andere Flügel des Adlers“
[5] die mit dieser Bemerkung diese Versuche keineswegs abgewertet werden sollen
